Grün! Statt bauen, bauen, bauen! Grün ist nur noch ein Parteiname. Unsere einst grüne Stadt wird zu Beton. Mit üblen Folgen. Verlierer sind wir alle!

Text: Gabriele Wittmann

„Ohne Grün werden unsere Kinder grau“, steht auf einem Plakat im Herzen des grünen Diekmoors im Norden Hamburgs. Hier baut ein Kleingärtner nicht nur Salat, Kürbis und Erdbeeren an. Zwischen seinen Mischbeeten in Permakultur blühen im Sommer Mohnblumen, ein Bienenvolk bestäubt die vielen Apfelbäume dazwischen.  

Ein paar Meter weiter steht ein 80-jähriger Filippa, eine dänische Apfelsorte, die schon viele Generationen ernährt hat. Das Baumhaus der Kinder steht noch darin, und einmal im Jahr gehen sie noch rein, um bei der Ernte zu helfen. Nachts kommt ein Bläuling und bestäubt die duftenden Nachtviolen, Fledermäuse jagen die zahlreichen Mücken.  

Doch das Diekmoor soll der Bebauung weichen, genauso wie hunderte weiterer alter Äcker, Gärten und Grünflächen in Hamburg und Umgebung. Im Osten der Stadt, in Oberbillwerder, sollen Bauern und alte Höfe entlang des Deiches weichen, hier soll bald ein ganzer Stadtteil entstehen. In Wilhelmsburg soll ein Wald für Neubauten gerodet werden. Allein durch die geplanten Bauvorhaben Diekmoor, Oberbillwerder, Öjendorf, Wilhelmsburg und Fischbeker Reethen sollen in den kommenden Jahren 450 Hektar Grünflächen vernichtet werden.

Wir brauchen Wohnraum, heißt es. Denn immer mehr Menschen wollen angeblich in die Stadt, und es fehlt an günstigem Wohnraum. Doch wird das Wohnen wirklich billiger durch die rege Bautätigkeit? Wer nachzählt, stellt fest: Im vergangenen Jahrzehnt ist der Anteil an Sozialwohnungen enorm gesunken, weil viele aus der Preisbindung gefallen sind. Trotz eifriger Bautätigkeit von über 70 000 Wohnungen ist – selbst wenn manche davon als sozial gefördert ausgewiesen sind – unterm Strich keine einzige Sozialwohnung dazugekommen. Im Gegenteil: Wir haben heute in Hamburg über 15 000 Sozialwohnungen weniger als noch vor einem Jahrzehnt.  Wer also meint, durch Neubau mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der irrt. 

Warum also wird so viel gebaut? „Das ist ein Flächenkrimi, den Hamburg hier derzeit erlebt“, sagte Jörg Knieling auf dem vom BUND Hamburg organisierten Online-Talk „Wohnraum für alle“. Der Professor für Stadtentwicklung an der Hafen City Universität Hamburg führte aus: „Es geht hier um Projekt-Entwicklung. Und Projekt-Entwickler gibt es erst seit 20 Jahren, das gab es so vorher nicht. Seitdem gibt es eine starke Lobby für Bauprojekt-Entwicklung. Doch das wird in zwanzig Jahren wieder weg sein: Es wird einen Bevölkerungsrückgang geben. Und die Fläche wird anders genutzt werden.“   

Jede Bebauung ist eine Klimaveränderung, sagt Professor Knieling. Und Ökosysteme, die einmal versiegelt wurden, sind unwiederbringlich verloren. Deswegen sollten wir auf nachhaltiges Bauen setzen. Architekten sind sich inzwischen einig: Es ist ökologischer, Altbauten zu sanieren, als neu zu bauen. Natürlich ist es aber auch teurer.  

Doch die Investition könnte sich lohnen. Schließlich empfehlen Experten im „Hamburger Klimabericht“ von 2018, man solle gegen die vorausgesagten Starkregenereignisse vorsorgen und mehr Flächen in der Stadt entsiegeln. Dieser Klimabericht wurde von der Hamburger Umweltbehörde herausgegeben. Dagegen erscheint die im gleichen Haus von der Baubehörde ausgegebene Parole „Bauen, bauen, bauen“ inzwischen rückwärtsgewandt.  

Wollen wir in Zeiten des Klimawandels wirklich immer noch nur auf Rendite setzen? Menschen haben ein Recht auf saubere Luft und eine lebenswerte Umwelt. Und grüne Flächen machen unsere Stadt lebenswert. Hier erfahren wir uns als Mensch unter anderen Lebewesen, die uns ernähren, die uns erfreuen, die uns daran erinnern, dass wir überhaupt nur als Teil eines größeren Ganzen existieren.  

Der Naturschutzbund Hamburg (NABU) ist mit seiner Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ bis zur ersten Runde vorgedrungen, danach signalisierte der Senat Verhandlungsbereitschaft. Am Ende lautete der Kompromiss: Hamburgs Grünflächen sollen bedingt erhalten werden, falls doch Flächen bebaut werden, soll es „Ausgleichsflächen“ geben. Doch kann man einmal versiegelte Flächen „ausgleichen“ dadurch, dass man andere Flächen, beispielsweise ein Landschaftsschutzgebiet aufwertet? Was einmal versiegelt wurde, ist versiegelt! Aktuell formiert sich ein neues, breites Bündnis aus 16 Initiativen, das sich zu der Volksinitiative „Rettet Hamburgs Grün“ zusammengefunden hat. Über 9000 Stimmen wurden bereits gesammelt, weitere 4000 sollen bis zum Nikolaustag hinzugewonnen werden. Und wenn sich der Senat sich in dieser Sache nur wenig bewegen sollte, dann wird es im kommenden Herbst wieder heißen: Bitte unterzeichnen Sie! Dann wird die Volksinitiative versuchen, auch die zweite Runde zu meistern.   

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